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Studio Rio – The Brazil Connection

Juni 2014 / Victoriah Szirmai

Wenn draußen nicht nur der Sommer tobt, sondern auch die Menschen auf ihren Balkonen, muss es WM-Zeit sein. Der erste Anstoß für Deutschland hat noch nicht stattgefunden, ganz zu schweigen davon, dass man eine Ahnung hätte, wie die Spiele ausgehen. Vermutlich sind Sie, wenn Sie das hier lesen, schon schlauer, allerdings spielt das WM-Ergebnis für meine Kolumne eine herzlich marginale, um nicht zu sagen: überhaupt keine Rolle, denn ich gebe zu, dass mich der ganze Zirkus null interessiert. Ich meine, ein rundes Leder und zweiundzwanzig Kerle, die ihm hinterherhechten, also mal ehrlich!

Brazil Connection Cover

Um aber in diesen Wochen nicht vollständig zum gesellschaftlichen Paria zu werden, zolle ich dem WM-Gastgeberland zumindest musikalisch Tribut. Natürlich komme ich dabei um die obligatorischen Samba- und Bossa-Beats nicht herum, dennoch wage ich zu behaupten, dass das, was da mit The Brazil Connection aus meinen Boxen perlt, eine kleine Rarität ist, denn hier wurden unvergessene Klassiker US-amerikanischer Provenienz in ein neues, sommerliches Gewand gehüllt. Die Berman Brothers – das deutsche Musikproduzenten- und Komponistenduo Frank und Christian Berman – hatten die Idee, das brasilianische All-Star-Ensemble Studio Rio setzte sie um, während Sony seine Kataloge öffnete, damit aus den Original-Mehrspurbändern mittels Science-of-Sounds-Studiotechnik die Vokalspuren isoliert werden konnten, die den Grundstock der Brazil Connection bilden.

Brazil Connection 1

Es ist die Zeitlosigkeit der afro-brasilianischen Rhythmen, die die Berman Brothers reizt. Vor allem alte Bossa-Nova-Platten, die sie auf den Flohmärkten dieser Welt zusammentragen, haben es ihnen angetan. „Sobald man in diesen Sound eintaucht“, schreiben sie in den Liner Notes der Platte, „gibt es kein Halten mehr“. Geleitet von der Frage, wie es denn wohl klingen würde, die musikgewordene Lebensfreude Brasiliens samt ihrer synkopierten Beats mit den nicht minder zeitlosen Songs großer amerikanischer (Jazz- und Soul-)Sänger wie Billie Holiday, Sarah Vaughan, Nina Simone, Marvin Gaye, Bill Withers, Sly & The Family Stone, The Isley Brothers oder Aretha Franklin zu verschmelzen, entstand The Brazil Connection. Zum Ensemble Studio Rio, dessen Mitglieder die Platte nicht nur eingespielt haben, sondern auch für die Re-Arrangements verantwortlich zeichnen, gehören Grammy-Gewinner und lebende Legenden, wie beispielsweise der in Buenos Aires geborene Wahl-Brasilianer Torcuato Mariano, der Komponist, Produzent, Gitarrist und Vokalist Roberto Menescal oder der Multiinstrumentalist Marcos. American Songbook goes Bossa Nova, sozusagen. Geht nicht?

Geht eben doch. Herausgekommen ist eine Platte, smooth genug, das Tischgespräch der Sommerparty nicht zu stören, und dennoch derart raffiniert, dass auch der distinguierte Jazzkenner ein anerkennendes Zucken des Mundwinkels nicht unterdrücken kann, wobei sich die erlesene Beschaffenheit der auch auf Vinyl veröffentlichten Brazil Connection so subtil entfaltet, dass man sie erst beim zweiten Hören wirklich wertschätzen kann. Die Stärke der Platte ist, dass sie die Klassiker nicht mit Brachialgewalt verändert, sondern lediglich dezent modifiziert. Gleich zu Beginn kommt man nicht umhin festzustellen, dass sich Bill-Withers‘ „Lovely Day“ und die luftigen Synkopen des Neuarrangements gesucht und gefunden haben. Fremdeln ausgeschlossen. Dasselbe gilt für Aretha Franklins „Walk On By“, dessen eleganter Bossa-Rhythmus nach einem prachtvollen Bläserauftakt an die ersten Tanzstunden erinnert, die ihre Vollendung in vornehmen Dinnerpartys finden sollen.

Brazil Connection 2

An den dezenten Brazilectro der frühen Zweitausenderjahre gemahnt das Neuarrangement des Marvin-Gaye-Klassikers „Sexual Healing“. Ohnehin ist Dezenz, Sensibilität und Zurückhaltung das Stichwort der Stunde. Die Re-Arrangements gehen behutsam mit den Originalen um und nehmen sich dabei selbst angenehm zurück. Sie lassen Song und Sänger glänzen, sodass im Gegensatz zu so manchem Remix-Projekt nie das Gefühl aufkommt, die Stücke wären in Gewänder gehüllt, die ihnen nicht stehen, nicht passen, sie verkleiden oder schlimmstenfalls gar entstellen. Hier dagegen unterstreicht die neue Aufmachung die ursprüngliche Persönlichkeit der Songs, die lediglich etwas leichter, luftdurchlässiger und sommerlicher geworden sind. Und das steht ihnen gut zu Gesicht, um nicht zu sagen: Passt wie angegossen.

Brazil Connection 3

Kurz schlucken musste ich lediglich bei Billie Holidays „You’ve Changed“, dessen erste Takte allzu kreuzfahrtunter-malungsmäßig daherzukommen schienen. Stopp, dachte ich, Lady Day will ich nicht in der Easy-Listening-Variante hören – bis die Vokalspur einsetzte, und ich selbst hier bass erstaunt feststellen musste: Auch das passt. Und klingt, als wäre es nie anders gewesen. Im Grunde haben die Bermans und Studio Rio ein kleines Wunder vollbracht.

Natürlich tut diese Art von Brazil Jazz, wie etwa das perlende Klaviersolo auf „Family Affair“, niemandem weh. Aber schließlich geht es auf The Brazil Connection auch nicht darum, den Jazz neu zu erfinden, nicht darum, noch schneller, noch härter und noch krasser zu sein, sondern darum, ein Lebensgefühl zu transportieren. Und das gelingt hier perfekt.

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