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Tango Transit – Akrobat

April 2014 / Victoriah Szirmai

Schon wieder ist ein gutes Vierteljahr ins Land gegangen, seit an dieser Stelle mit Christian Bakanic’s Trio Infernal zum letzten Mal eine Tango-World-Jazz-Produktion besprochen wurde. Ein Versäumnis, das es mit Akrobat von Tango Transit aufzuholen gilt! Tango Transit – das sind Martin Wagner am Akkordeon, Andreas Neubauer am Schlagzeug und Hanns Höhn am Kontrabass, wobei uns Letzterer gerade erst im Januar in Form des tieftönenden Teils von FrauContraBass über den Plattenteller gelaufen ist.

Tango Transit | Akrobat Cover

Auch seine Dreierformation hat seit Veröffentlichung ihres letzten Albums Blut (2011) nicht auf der faulen Haut gelegen, sondern uns zwischendurch mit ihrem im Eigenverlag veröffentlichten Weihnachtsalbum Engelrausch das Fest versüßt und aus so manch alter deutscher Weise wie „Es kommt ein Schiff geladen“ den inneren Piazolla herausgekitzelt. Doch wo der Engelrausch gern mal die Tangopfade verließ, um sich irgendwo zwischen der Grunewalder Holzauktion und hüpfendem Alpenglühen exzessiv volkstümlich zu geben, paaren sich die bonarenser Sehnsuchtsklänge auf Akrobat mit jazzigen, ja: poppigen Strukturen. Dominiert wird aber auch das neue Album von Tango Transit durch den Tango Nuevo, für den das Herz des Trios unüberhörbar schlägt. Vom Folkloristisch-ländlich-Naiven, das dem Akkordeon anhaftet und das auf dem Weihnachtsalbum so gekonnt nutzbar gemacht wurde, ist hier nur noch sehr selten – etwa auf „Three Towers“ ab Minute vier – etwas zu spüren. Kein Wunder, wo der Tango doch seit jeher eine höchst urbane Musik war, entstanden in einer und bedingt durch eine Millionenmetropole.

Tango Transit | Akrobat 1.1

So ist es auch eher die Stadt, mehr noch: der Moloch der Großstadt, der dem Akrobaten die Richtung weist, immer in der Hast des Aufbruchs zum Takt der Stechuhr. In die Manege lockt es diesen Akrobaten dagegen recht selten. Die wahren Höhepunkte dieses ohnehin recht moderat temperierten Albums sind dann konsequenterweise auch den melancholischeren Stücken vorbehalten, bei denen der Namenspatron des Albums jenseits aller Scheinwerfer seine grellgeschminkten Kollegen aus den Kulissen beobachtet, wo er sich sichtlich wohler fühlt.

Nach einem Auftakt mit drei Eigenkompositionen, die überwiegend aus der Feder von Akkordeonist Wagner stammen, überrascht Mendelssohn Bartholdys – hier kurzerhand zum „Elfentango“ umbenannter – „Elfenreigen“, dem sich das Trio respektlos bis subversiv nähert, dann umso mehr. Und während sich der nachfolgende „Transylvanian Tango“ wild und ausgelassen gebärdet, um jäh darauf wieder gezähmt zu werden, haben wir es bei „L’Air d’en Temps“ mit einem handfesten Salontango zu tun, dessen Rhythmus auch der gröbste Tanzschulklotz zu identifizieren weiß. Am ehesten im improvisierten Jazz zu verorten dagegen ist eine der drei Höhn-Kompositionen des Albums, der titelgebende „Akrobat“, der jedes der drei Trio-Mitglieder als glänzenden Solisten präsentiert. Ein Break mitsamt Tonalitätswechsel ins Dunkle-Bedrohliche, der durch den darunter liegenden Stechschritttakt noch intensiviert wird, bereitet den Boden für den nachfolgenden „Libertango“ – einem der wohl meistgecoverten Stücke der neueren Musikgeschichte. So etwas geht gern mal schief. Hier aber, das sei vorweggenommen, nicht.

Tango Transit haben verstanden, dass man sich tausendfach interpretierten Stücken nur auf eine einzige Art und Weise nähern kann: nämlich ganz anders. Und so gerät der „Libertango“ dem Trio zum von verstörendem Gequietsche ausgehenden Geräuschkonglomerat, um erst nach nahezu sechs Minuten Spielzeit erstmals die ihm innewohnende zärtliche Seite zu zeigen. Das mag den Wiedererkennungseffekt zunächst schmälern und Puristen sowie Piazolla-Adepten erzürnen, ist aber in jedem Falle äußerst spannend, wobei ich zugebe, dass meine persönliche Lieblingslibertangoversion nach der überragenden Interpretation durch Yo-Yo Ma immer noch eine konventionelle, nämlich die des mit Witek Kornacki an der Klarinette, Angel Garcia Arnés an der Gitarre und Lech Wieleba am Kontrabass besetzten Trios Sureste Tango ist.

Tango Transit | Akrobat 1.4

Der auf den „Libertango“ folgende „Taumler“ dann ist am ehesten dazu angetan, die mittels Albumtitel heraufbeschworenen Zirkusatmosphäre zu entfesseln, kann aber auch als Analogie eines ins Straucheln geratenen Lebens gelesen werden: taumeln, fallen, sich wieder fangen. Eines meiner ganz persönlichen Lieblingsstücke aber ist „Cool“, und das nicht nur, weil hier der legendäre Cool Jazz mitschwingt, so zurückgenommen und dennoch – oder gerade deshalb – so virtuos. „Cool“ ist ein Stück für alle, die die leisen Töne bevorzugen, die wissen, dass der, der schreit, Unrecht hat, die das Hohelied des Understatements singen und Manieren nicht für ein Relikt des letzten Jahrhunderts halten. „Cool“ würde einem in den Mantel helfen, Türen aufhalten und in ganzen Sätzen, in denen sogar Wörter wie „bitte“, „danke“ und sogar „Verzeihung“ vorkommen, mit einem reden. Ja, genau so ein Stück ist das, und obwohl untypisch für die Atmosphäre der Platte, möchte ich es Ihnen als Anspieltipp ans Herz legen.

Tango Transit | Akrobat 1.3

Deutlich frecher – will da heißen: heißblütiger, spielfreudiger – geht es auf „1209 North Orange Street“ zu, bis mit der Höhn-Komposition „Schlaf“ wieder elegante Zurückhaltung das Ruder übernimmt. Mindestens ebenso behutsam, könnte man zunächst meinen, schließt das Album mit der Roger-Waters-Komposition „Brain Damage“, doch wiegt sich der Hörer hier in trügerischer Sicherheit, es ans rettende Ufer geschafft zu haben, denn der Closer legt über die Minuten mit allerlei Geräuschfreuden und einem Akkordeon, das wie der Wiedergänger einer Hendrix-Gitarre klingt, ordentlich zu, bis in dem ganzen psychedelischen Tohuwabohu endlich der Groschen fällt: Roger Waters! Klar! Der Roger Waters von Pink Floyd! Sorry, in meiner Generation hat man das nicht mehr so präsent. Aber es erklärt vieles und vor allem auch den fulminanten Abschluss eines erstaunlichen Albums, dem es gelingt, einen Bogen von der Romantik über Tango Nuevo und Psychedelic Rock – wobei sich der „Libertango“ und „Brain Damage“ mit 1973 das Entstehungsjahr teilen – bis in unsere Zeit zu spannen und dabei trotzdem komplett in sich geschlossen, organisch gewachsen, unteilbar zusammenhängend zu klingen.

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