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Liz Green – O, Devotion!

Februar 2012 / Victoriah Szirmai

Sympathisanten des Titanic-Kolumnisten Max Goldt, zu denen nicht nur die Autorin gehört, sondern auch mindestens einer der beiden fairaudio-Herausgeber, wissen es schon längst: „Was auf die Boxen stellen ist typisch Mädchen“.

Liz_Green_O_Devotion_Cover

Gemeint ist hier der wohl geschlechtsspezifische Trieb, allerlei Zierrat auf den Boxen einer Stereoanlage abzulegen. Und tatsächlich! Wende ich den Kopf, stehen da auf der Box a) ein vor gut zwanzig, eher dreiundzwanzig Jahren aus der damaligen Tschechoslowakei mitgebrachter hölzerner Hahn, dem die Funktion eines Nadelkissens sowie Nähgarnhalters zukommt (ja, den benutze ich tatsächlich) und b) ein vogelartiges Wesen von unglaublichem Umfang – man könnte auch „fette Henne“ dazu sagen –, das eine mit meinen Eltern befreundete Keramikerin hergestellt hat, in friedlicher Koexistenz. Dabei mag ich gefiedertes Getier eigentlich gar nicht besonders, und als Sammlerin kitschiger Staubfänger in Tierform gehe ich auch nicht zwingend durch. Hm. Letzten Endes tröste ich mich damit, dass nicht zählt, was auf den Boxen steht, sondern was aus den Boxen herauskommt. Und das ist bei mir im Moment ganz was Feines: das Debütalbum O, Devotion! der britischen Sängerin/Songwriterin Liz Green.

Liz_Green_Maedchenbox

Indie-Fans kennen die Musikerin mit der charakteristischen Stimme und Hang zum jazzig-bluesigen Düsterfolk bereits von ihren vor vier Jahren im EP-Format veröffentlichten Singles „Bad Medicine“ und „Midnight Blues“. Die meisten dürften Green aber vor allem durch ihre Live-Auftritte kennen, denn schließlich war die Sängerin während der letzten Jahre permanent auf Tour, sodass sie erst jetzt Muße fand, sich ins Studio zu begeben, um ein ganzes Album fertigzustellen.

Wahrscheinlich spielte aber auch der Umstand eine Rolle, dass Green sich vor den Studiotagen regelrecht fürchtete, da ihr die sterile Umgebung des Studios nach solch einer langen Zeit auf der Bühne unbehaglich erschien. Nach drei Jahren sei man immer noch kein Stück weiter gewesen, und sie habe sogar versucht, Gesichter an die Studiowände zu malen, um wenigstens den Hauch des Eindrucks eines Live-Publikums zu erzielen. Mit Hilfe des „White Stripes“-Produzenten Liam Watson und dem Blasensemble ihrer Träume im Hintergrund, gelang dann aber doch „die Platte, die ich schon immer habe machen wollen“. Und vielleicht hatte sie dabei sowas wie einen in New Orleans von einer Blaskapelle zum Besten gegebenen Kurt Weill im Sinn.

Liz_Green_bad_medicine_cover

Nachdem O, Devotion! bereits im November in Großbritannien veröffentlicht wurde, ist es seit Ende Januar endlich auch bei uns zu haben. Endlich, weil dieses Album ein bisschen so ist, wie die allererste Berührung mit einer Musikgattung, die einen danach nicht mehr loslässt. Ein Moment, der einen für den Rest des Lebens infiziert und elektrisiert und nicht wiederholt werden kann. Ähnlich habe ich mich nur gefühlt, als mir mein Vater 1993 „Blue Light ‚til Dawn“ mitbrachte – und als ich zum allerersten Mal „Kind of Blue“ hörte. Eigentlich kommen solche musikalischen Erweckungserlebnisse nur Teenagern mit einer entwicklungsgeschichtlich bedingt geringen Repertoirekenntnis zu. Später stellt sich schnell eine „Kenn ich schon“-Attitüde ein. Bei Liz Green ist das anders, obwohl vieles an ihrer Musik definitiv bekannt anmutet.

O, Devotion! liegen ganz persönliche musikalische Initiationserlebnisse Greens zu Grunde. So beispielsweise verdankt sie ihre anachronistische Liebe zum Blues den Mixtapes ihres Vaters, auf denen neben dem Delta-Sound aber auch die Stones, Chuck Berry oder die Jackson 5 zu hören waren. Liz begann, Gitarre zu spielen und sagt von sich selbst, dass es sieben Jahre dauerte, bis sie vier Akkorde beherrschte. Emanzipiert vom väterlichen Musikgeschmack schöpfte sie dann vor allem aus den Quellen des Achtizger-Punk, erschloss sich die Siebziger David Bowies und, ja, dann ist doch wieder Daddy Schuld, förderte sie die Schätze aus dessen imposanter Sammlung von Motown- und Merseybeat-Aufnahmen der Sechziger zutage. Nicht zuletzt haben es Green alte Feldaufnahmen angetan, die sie als „destillierte Essenz vergangener Ären“ bezeichnet. Gäbe es so etwas wie die Essenz der Essenz, es wäre der passende Ausdruck für die Musik, die Liz Green hervorbringt.

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Liz Green elektrisiert, kaum dass die ersten Töne erklingen. So ist man bei den ersten Takten des Openers „Hey Joe“ geneigt, an eine Akustikgitarrenversion vom „Libertango“ zu denken – und ja, Green spielt einen vorzüglichen, wenngleich eher grobgestrickten, dafür aber äußerst individuellen Finger-Picking-Style –, aber es ist ihr Gesang, der packt. Kaum setzen die Vocals ein, glaubt man, mitten in einer verschollenen „Billie Holiday“-Aufnahme gelandet zu sein. Andere erinnert Greens Stimme an Judy Garland oder Karen Dalton; und manche gehen so weit, Liz Green als „das fehlende Glied zwischen Karen Dalton und Jolie Holland“ zu bezeichnen, wozu die Sängerin selbst meint, dass es da noch einige Leben zu leben und einige Herzen zu brechen gäbe, bevor sie auch nur annähernd so sänge wie jene. In jedem Falle gesellt sich ungefähr anderthalb Minuten später zu dieser eigenwilligen und wie aus der Zeit gefallenen Stimme eine Basstuba hinzu. Was sich vielleicht unpassend, ja, inakzeptabel liest, funktioniert: Die Tuba weckt hier keine wilden Balkan-Kapelle-spielt-am-Hackeschen-Markt-für-Touristen-Assoziationen, sondern kommt so unglaublich zärtlich daher, wie ich es diesem Instrument nimmer zugetraut hätte und wie es dessen Anatomie eigentlich gar nicht hergeben dürfte.

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Die Basstuba verschwindet auch während der nächsten Songs nicht und wird schon bald zum engen Freund des Hörers, ebenso wie Posaune und Trompete, die durchaus auch mal von Green schlicht mit dem Mund imitiert werden. Es sind düstere Walzer, die unsere neuen Freunde da spielen, man könnte sich tatsächlich in einem Brecht-Weill-Musical wähnen; und bis auf minimalste Effekte sowie einen sich gekonnt zurückhaltenden Stuart Eastham am Bass (zum Beispiel auf „Rag & Bone“) war das auch schon die komplette Instrumentierung von O, Devotion!, die man fast schon als A-cappella-Platte bezeichnen könnte. Green steht in der Tradition einer langen Reihe von Storytellern, deren Sujet Hingabe (laut Liz Green „Liebe und Frust, Hoffnung und Verzweiflung, Erschöpfung und Spaß“) ist. Eine aufwändigere Instrumentierung würde hier nur vom Wesentlichen ablenken. Doch halt, es gibt eine Ausnahme: Auf „French Singer“ wird die Gitarre durch ein Klavier ersetzt, und ganz ehrlich: das nervt. Der Charme des Selbstgestrickten verschwindet am Klavier und lässt höchst uncharmanten Dilettantismus durchklingen, der, so finde ich, als Stilmittel nicht taugt. Vermutlich aber bedurfte es dieses einen unschönen Tracks, um die übrigen neun umso mehr schätzen zu können!

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Lieblingslieder des Albums sind der „Ostrich Song“ und natürlich „Hey Joe“, dieser Legende von Starling Joe, einer Halb-Vogel-halb-Mann-Gestalt, seiner Frau Oko Parrish und ihren zwölf geschlachteten Kindern. Dann gibt es da noch das Lied von „Luis“, dem Mann, der während der letzten zwanzig Jahre auf allen Beerdigungen in seiner Heimatstadt zu Gast war. Oder eines über den Moment, wo man in die Fenster von alten Leuten hinein auf eben solche schaut, die ihrerseits heraussehen. Es ist eine seltsame Welt, die O, Devotion! vor dem Hörer entfaltet, zu der auch Schattenspiel und überhaupt eine tiefe Exzentrik gehören.

Wäre man auf der Suche nach einem Schubfach für diese Platte, man müsste ein neues Genre eröffnen: das Wie-geil-ist-das-denn!-Genre. Recht eigentlich aber ist O, Devotion! eine Bluesplatte; und Green gelingt es ebenso gut wie Fink, daraus keine anachronistische Altmännerphantasie werden zu lassen. Im Gegenteil.

O, Devotion! ist auch auf Vinyl erhältlich.

Interview und Konzertvideos: http://klangverfuehrer.de

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