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Musik-Kritik: Helge Lien Trio | Tango Transit | Iness Mezel | VA: Comfort Zone. Luxury Downtempo Grooves 7 – fairaudio

Inhaltsverzeichnis

  1. 2 Musik-Kritik: Helge Lien Trio | Tango Transit | Iness Mezel | VA: Comfort Zone. Luxury Downtempo Grooves 7 - fairaudio

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Thomas Dybdahl | Lenka | Bohren & der Club of Gore | Kitty, Daisy & Lewis | Helge Lien Trio | Tango Transit | Iness Mezel | VA: Comfort Zone. Luxury Downtempo Grooves 7

Helge Lien Trio / Natsukashii

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Wer sich genug verausgabt hat, legt die neue Platte des Helge Lien Trios auf – und das im Wortsinne, denn Natsukashii ist auch in der Vinylvariante zu haben, allerdings nur limitiert. Die CD hingegen musste mittlerweile aufgrund der hohen Nachfrage schon zum dritten Mal nachgepresst werden. Kein Wunder, dass das Trio, dessen letzte Veröffentlichung Hello Troll als bestes norwegisches Jazz-Album des Jahres 2009 und bestes Instrumental-Album des Jahres 2008 den Norwegischen Grammy beziehungsweise Indie Acoustic Project Award erhielt, vom renommierten britischen Magazin Jazzwise in der aktuellen Juni-Ausgabe mit einem mehrseitigen Feature geehrt wird.

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Aufgenommen wurde Natsukashii als „audiophile hi-resolution 24 bit/192 kHz recording“ innerhalb von nur drei Tagen in den Rainbow Studios in Oslo, die für viele ECM-Einspielungen bekannt sind. Auch hier macht Helge Lien konsequenten Piano-Jazz in klassischer Trio-Besetzung. Das ist nicht gerade Easy Listening, aber auch nicht wirklich experimentell, sondern vielmehr abwechslungsreich. Immerhin deckt der norwegische Pianist mit seinen Mitstreitern Frode Berg am Bass und Knut Aalefjær am Schlagzeug ein breites Spektrum von Klassik über Folk zu Progressive Rock ab, und auch die Stimmungen der einzelnen Songs spiegeln eine unglaublich große emotionale Bandbreite von meditativ über fordernd bis richtiggehend dramatisch wider. Spannend ist Natsukashii allemal, ohne aber aufdringlich zu sein. Sich blind vertrauende, perfekt aufeinander eingestimmte Musiker mit einer ungeheuren Spielfreude, ohne sich in endlosem Solieren zu verlieren oder mit ihrer Virtuosität profilieren zu müssen … Kurz: angenehm. Das ist der Begriff, der mir einfällt, müsste ich Natsukashii in ein Wort fassen. Da gibt es kein Gerangel und Gezerre, da fließt das Eine in das Andere, ohne allzu durcharrangiert zu sein, denn drei Tage Aufnahmezeit lassen viel Raum für Spontaneität, die mal hier, mal da aufscheint, ganz plötzlich, ausgelöst von etwas scheinbar Belanglosem.

Denn genau das beschreibt der japanische Begriff Natsukashii. Wie etwas auf den ersten Blick so Unscheinbares wie etwa ein alter Schuh mit einem Mal intensive Erinnerungen freizusetzen in der Lage ist. Von Gerüchen kennt man das ja, da sie direkt an den Hirnstamm und damit den ältesten Teil unseres Gehirns appellieren: Kaum weht einem beispielsweise ein Hauch von Vanille in die Nase, wird man in direkt in eine Szene aus der eigenen Kindheit zurückversetzt, die von diesem Geruch bestimmt war, etwa das Adventsbacken, das Parfüm der Mutter oder die Bratäpfel der Großmutter.

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Es geht um jenen magischen Moment, in denen Realität durch Traum respektive Erinnerung ersetzt wird und ein einfacher Akkord tiefste Geheimnisse enthüllen kann, wenn man sich auf ihn einlässt. Atmosphärisch dicht erzählt das Album zehn Geschichten, die nichts anderes sein wollen als die musikalische Umsetzung des Natsukashii-Prinzips: Trotz aller wachgewordenen Erinnerungen niemals ausschließlich in der Nostalgie verweilend, sondern immer auch die Magie des aktuellen Momentes zelebrierend.

Anspieltipp: Das umwerfende Sceadu, ein Song mit hypnotischen Percussions, bedrohlichem Piano und unheimlich gestrichenem Bass.

Tango Transit/ Blut

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Mit Tango Transit trifft der geneigte Hörer auf ein Trio der ganz anderen Art, auch wenn die Besetzung mit Akkordeon statt des Klaviers sowie Schlagzeug und Bass als nahezu klassisch zu bezeichnen ist – wenn auch nicht für den Tango, in dessen Orquesta Típicas wir das Schlagwerk vergeblich suchen, dafür aber mit breiter Streicherfront konfrontiert werden. Auch andere Tango spielende Trios, wie beispielsweise mein persönliches Lieblings-Trio Surreste Tango mit Klarinette, Gitarre und Kontrabass, haben nur ein klassisches Rhythmusinstrument an Bord. Bei Tango Transit ist das anders. Und ansonsten ist bei den drei Musikern ebenfalls alles ein bisschen anders, denn hier vereinen sich Klassik und Blues mit Cajun und Jazz mit Funk und Drum&Bass. Es geht also alles andere als beschaulich zu bei Tango Transit – aber von einem Album, das Blut heißt, hat man ja wohl auch keine Märchenstunde erwartet. Wobei „Blut“ hier nicht in dem im Popkontext üblichen Sinne gebraucht wird, sondern vielmehr als Synonym für Lebensenergie, die fließt und pulsiert, verwendet wird. Und auch der „Tango“ im Bandnamen wird nicht als Referenz verstanden, sondern eher als eine Art geistige Brücke zu Begriffen wie Expressivität, Ekstase und Dynamik.

TangoTransit_1Melancholische Sinnsucher sind bei Tango Transit jedenfalls an der falschen Adresse. Hier geht es nicht um zelebrierte Schwermut, sondern um eine unbändige Spielfreude, die sich in einer radikal emotionalen Musik entlädt, bei der jeder der drei Musiker so spielen darf, wie er will – ein Punkt, der Komponist und Trio-Gründer Martin Wagner wichtig ist. Mit dabei sind Schlagzeuger Andreas Neubauer und Bassist Hanns Höhn, der uns schon vor zwei Jahren bei seinem Duo-Projekt Frau Kontrabass begegnet ist. Neben aller ansteckenden Spielfreude haben sich Tango Transit aber nichts Geringeres als einen Bildungsauftrag auf die Fahne geschrieben: zu zeigen, dass Jazztango hochaktuell ist – und ihn gleichzeitig zu erneuern. Im Prinzip vollzieht sich auf Blut der Transport der Grundidee des Tango in die Gegenwart, wo er mit zeitgenössischen musikalischen Ausdrucksformen verschmilzt und nicht mehr Tango als solcher ist, sondern einfach eine hochgradig spannungsgeladene, zeitlose Musik.

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Blut überrascht gleicht zu Beginn mit einer dreisätzigen Suite, und arbeitet sich über verschiedene kleine Geschichten zwischen Orient und Okzident zum großen Finale des Albums vor: dem titelgebenden Blut. Im Grunde genommen ist das Album eine Art Reise. Es beginnt formal klassisch, entführt dann ins wilde Serbien (Komshiluk), stellt die zentrale Frage nach der Heimat – ist Heimat ein Ort? Und wenn ja, wo? (Domovina) –, um dann überraschend poetisch innezuhalten und sich treiben zu lassen (Zeitauge). Nach diesem kurzen Moment des Pausierens geht es auch schon ins energiegeladene New Orleans zum Mississippi-Delta (Fat Cat) und von dort direkt nach Ägypten, um den Jazztango in ein orientalisches Gewand zu kleiden (Night in Egypt). Fast glaubt man hier Libertango-Anklänge zu vernehmen, aber auch ohne die Piazolla-Referenz ist Night in Egypt eine ganz großartige Komposition. Busy Waiting ist ein Stück über einen Wichtigtuer, einer Blender, über vorgetäuschte Geschäftigkeit. „Running errands“ ist in Buenos Aires eine wichtige Beschäftigung für jene, die nichts zu tun haben – Hauptsache, es sieht so aus, als hätten sie etwas zu tun! – und somit passt das Stück zum Wesen des Tangos wie die Faust aufs Auge! Bei The Curtain schließlich geht es um einen Vorhang – den im Kopf, im Sinne einer psychologischen Blockade, hinter dem etwas von der Außenwelt durchschimmert und daran denken lässt, wie schön es sein könnte, würde man den Ausbruch wagen! Blut dann führt das Album zum großen Finale und fasst noch einmal zusammen, wofür Tango Transit stehen: große Expressivität, Spielfreude, Virtuosität und ein schier unerschöpflicher Vorrat an Lebensenergie, an Blut eben, das, wie wir spätestens durch Goethes Mephistopheles wissen, „ein ganz besonderer Saft“ ist.

Iness Mezel / Beyond the Trance

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Mäandern Tango Transit irgendwo zwischen Jazz und World, positioniert sich die algerisch-französische Sängerin Iness Mezel klar in der World-Ecke. Das ist bedauerlich, denn mit Worldbeat ist das ja immer so eine Sache. Von wegen Multikultiseligkeit und so. Gute Absicht und nerviges Getrommel, zu dem deutsche Hausfrauen verzückt die innere Venus herauslassen. Oder so ähnlich. Und genau deshalb ist es auch verdammt schwer, gute Platten aus dem World-Sektor vorzustellen, ohne dass der Leser schon beim Titel dankend abwinkt. Versuchen wir es trotzdem, denn Beyond the Trance ist einerseits ganz klar Worldbeat – andererseits aber purer Rock. Fusion sagt man im englischen Sprachraum dazu.

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Mezel kombiniert die algerische Berber-Tradition mit aktuellen Blues- und (Hard-)Rock-Strömungen, an denen ihr Produzent und Gitarrist Justin Adams, der auch in Robert Plants (Ex-Led-Zepplin-Sänger) aktueller Band spielt, nicht ganz unbeteiligt sein dürfte. Der renommierte African Blues- und Fusion-Stilist produzierte nicht nur ihr Album, sondern spielte auch den Löwenteil der Instrumentalparts ein, die sich nicht auf Gitarre beschränken, sondern sich auch auf Banjo und die nordafrikanische Gimbri-Laute erstrecken. Mezel selbst hat alle Songs geschrieben; und ebenso mühelos, wie sie die Sprachen wechselt – von französisch zum nordafrikanischen Berberisch der Amazigh und wieder zurück –, schlüpft sie stimmlich von traditionellem Singsang über stürmischem R&B und Rock zu nachdenklichem Blues, zu Funk und Jazz, oder einem zarten, aber dennoch kraftvollen A-cappella-Gesang wie zu Beginn des Schlusstracks.

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Der natürliche Umgang mit den verschiedenen Genres liegt der als Fatiha Messaoudi geborenen Mezel gewissermaßen im Blut: Aufgewachsen als Tochter einer französisch-italienischen Mutter und eines algerischen Vaters in Frankreich und Algerien, verbrachte sie ihre Kindheit damit, Pop, Disco und Funk zu hören, studierte dann aber, inspiriert von Christopher Cross und Elton John, Klavier. Später kamen Barockgesang und Jazz Improvisation dazu. 1997 folgte ihr Debütalbum Berber Singing Goes World, das sie gemeinsam mit ihrer Schwester Malika aufgenommen hat. Als diese aus persönlichen Gründen der Musikbranche den Rücken kehrte, machte Mezel allein weiter und veröffentlichte 2003 ihr erstes Soloalbum Len. In den acht Jahren Pause, die zwischen Len und Beyond The Trance liegen, verpasste Justin Adams ihr einen neuen Sound, der von treibenden Beats und Blues-Rock-Gitarren dominiert wird. Schon der Opener Amazone definiert, was der Hörer auf Beyond The Trance erwarten darf: Hier treffen nordafrikanische Perkussion auf Rockgitarre und verschmelzen mit Blues, Funk und Soul.

Das macht Beyond The Trance für den europäisch geprägten Hörer aber immer noch nicht zu einem einfach zu hörenden Album. Eine gewisse Vorliebe für afrikanische Rhythmen muss man schon haben, um die CD zu mögen. Beim zweiten Hören aber erscheint einem diese zunächst so fremde Musik seltsam vertraut. So gelingt dem Album ein Brückenschlag zwischen nordafrikanischer und europäischer Kultur – und damit etwas, was die Politik derzeit nicht zu vermögen scheint.

Various Artists / Comfort Zone. Luxury Downtempo Grooves 7

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Wenn Sie zu den regelmäßigen Lesern von Victoriah’s Music gehören, wissen Sie, dass ich Compilations oft und gern vorstelle. Ich mag das Prinzip des Samplers, denn im Idealfalle haben sich hier Menschen, die der Musik ebenso leidenschaftlich wie kenntnisreich gegenüberstehen, Gedanken gemacht. Der ideale Sampler besitzt einen durchdachten Aufbau, der einer ausgeklügelten Dramaturgie folgt; und großartige, bekannte Songs und Künstler verschmelzen mit bislang unentdeckten musikalischen Perlen. Soweit die Theorie.

Diesen Sampler hier bespreche ich allerdings nicht deshalb, weil er die vorgenannten Kriterien erfüllt. Ob des Renommees der Reihe könnten Sie dennoch der Versuchung erliegen, ihn zu kaufen. Das allerdings könnte sich – meines subjektiven Erachtens nach – als fataler Fehler herausstellen, es sei denn, Sie sind ein Freund der gepflegten Langeweile und lieblosen Aneinanderreihung von Belanglosigkeiten.

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Chris Coco – einer der wenigen Gründe für dieses Album?

Dabei hatten sich die Macher der Comfort-Zone-Reihe ganze fünf Jahre Zeit gelassen, bevor sie ihre siebtes Baby in die Welt setzten. Schade, denn der Anfang von Comfort Zone. Luxury Downtempo Grooves 7 ist vielversprechend. Schon der allererste Track, das hypnotisch-dubbige Black Iris von Afterlife, dem Downtempo-Projekt des britischen Produzenten Steve Miller, besticht durch die samtweichen weiblichen Vocals von Neve. Kein Wunder, dass Miller der meistgespielte Künstler in Ibiza und den Strandbars der restlichen Welt ist und einen festen Platz in der Café-del-Mar-Reihe hat! Ein wirklich toller Song, und noch dazu sehr sexy, der einfach Lust auf mehr macht. Doch genau diese „mehr“ bleibt leider aus, denn schon ab Track zwei gerät die CD zum puren, weil belanglosen, Ärgernis und rückt ganze fünf Instrumentaltracks lang sehr, zu sehr in die Nähe von Dreamdance und Konsorten beziehungsweise nervt im Falle von Felkas Sightseeing In Paradise durch einen Pseudo-Drum&Bass-Beat. Der Höhepunkt der Langeweile ist dann mit Bay Of Islands von Blackfish erreicht. Das ganze klingt wie ein Dauerloop der vier oder im Höchstfalle acht immer gleichen Takte. Hier passiert gar nichts. Das ist nicht schön.

Aufweckend dann das HipHop-lastige Hiding From Love von Goloka – aber auch nicht mehr. Die Sängerin will besonders sexy daherkommen, wirkt aber nur übertrieben aufdringlich und aufgesetzt. Kein Vergleich zu den sinnlich-schwülen Vocals von Track eins. Und einen „Yo, check one two“-Rapper brauche VAComfortZoneLuxuryDowntempoGrooves7_FXUzumindest ich persönlich auch nicht. Bei Back Home von Fishtank hatte wieder Steve Miller seine Hände im Spiel; die männlichen Vocals sind klasse, die Produktion scheint mir für eine Downtempo-Compilation allerdings etwas aufgekratzt. Beruhigen würde mich das zum Feierabend jedenfalls nicht – ganz im Gegensatz zum anschließenden Relieve Me, Release Me von FXU. Das ist Ambient in Reinkultur, wabernd, schleppend und mit betörender Vocal-Line. Mehr davon! Klassisch geht es auch auf Summertime von Chris Coco zu – einer der wenigen Gründe, der dann doch für dieses Album spricht. Herrlich beiläufig gesungen von Lisa Supple entpuppt sich der Song als das Highlight der Compilation. Ein fauler Sommertag, die Hitze flirrt über dem Asphalt, nichts regt sich … das ist Summertime.

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Dann gibt es noch die seltsame Verpaarung von Flamenco-Gitarre und Deep House (Ganga, Autumn), um mit Besos de alba von A&A wieder in der Dreamdance-Ecke zu landen. Auch Hyusfall, die auf sämtlichen Lounge-Compilations von Erotic Lounge über Lounge Musique bis zu La Nuit vertreten sind, können das in den Brunnen gefallene Kind mit dem minimalistischen Track Ephen nicht mehr retten; und der Schlusstrack I Know That von Capsula – eine eigenwillige Collage aus Sprachfetzen, Gitarre und Electronica – ist auch eher seltsam geraten.

Alles in allem ein sehr durchwachsenes Album; toller Beginn, gefolgt von langen Phasen der Belanglosigkeit, zwei, drei Highlights und dann wieder Generve. Muss man nicht haben. Für den Musikinteressierten sind die Liner Notes zudem zu spärlich ausgefallen.

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