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CD-Besprechung: A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | Cœur de Pirate – fairaudio

Inhaltsverzeichnis

  1. 2 Bahama Soul Club / Bossa Nova Just Smells Funky
  2. 3 Bajka / Escape From Wonderland
  3. 4 Edgar Knecht / Good Morning Lilofee
  4. 5 Triosence feat. Sara Gazarek / Where Time Stands Still
  5. 6 CD-Besprechung: A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | Cœur de Pirate - fairaudio

Diese Ausgabe unserer Musik-Kolumne enthält acht neue Platten von folgenden Künstlern: Bahama Soul Club | Bajka | Edgar Knecht | Triosence | A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | C½ur de Pirate

A Glezele Vayn / Feynherb

A Glezele Vayn / Feynherb

Darauf jetzt erst einmal ein Gläsel Wein, ich meine: Glezele Vayn. Das Berliner Quartett um Mastermind Achim „Sonic Ahmed“ Rinderle habe ich an einem heißen Hochsommerabend im Juli kennengelernt, wo es auf einer kleinen Bühne allerlei Unsinn anstellte und nebenbei auch noch gute Musik machte.

Ich gebe es zu: Ich habe den Abend meines Geburtstages (und gleichzeitig jenen des Halbfinales der Fußball-WM) darauf verwendet, A Gleyzele Vayn live spielen zu hören. Und es hat sich gelohnt! Als Souvenir bleibt von dem Abend das Album Feynherb, dessen Titel im Prinzip auch schon alles sagt, denn hier ist drin, was drauf steht, will da heißen: Es kann getanzt, aber auch geträumt werden. Mit ihrem bittersüßen Musikverständnis sind A Gleyzele Vayn tatsächlich zunächst in der Tradition klassischer jüdischer Tanz- und Hochzeitskapellen mitsamt Zeremonienmeister zur Publikumsbespaßung zwischendurch zu verorten. Wer die vier jetzt aber zur bloßen Klezmerkapelle reduziert, würde ihrem Repertoire nicht im Geringsten gerecht werden.

Das nämlich erstreckt sich neben den schon angesprochenen Klezmerstücken und Romamelodien über osteuropäische Klänge aus Mazedonien, Bulgarien und Armenien bis hin zum Allgäuer Zwiefachen mit Maultrommel- und Löffelbegleitung. Und ab und zu gibt es die Maultrommel dann ebne auch mal auf den osteuropäischen Stücken zu hören. Süddeutscher Volkstanz und Balkanfolk, das funktioniert tatsächlich, nicht zuletzt ob der Spielfreudigkeit des neben Rinderle (Klarinetten, Saxophon) aus der Akkordeonistin Szilvia Csaranko, dem Percussionisten Jacobus Thiele und dem – mittlerweile durch Michael Tuttle ersetzten – Bassisten Daniel Bister bestehenden Ensembles. Produzent Rinderle bereitet eine einzige große Spielwiese, auf der sich seine Kollegen an Kuhglocken, Löffeln, Quietscheenten und Schuhputzzeug so richtig austoben können.

A Glezele Vayn

Ein bisschen muss das sein wie im Kinderparadies bei Ikea, jeder darf alles, egal, welches Instrument er ursprünglich in der Hand hatte! Und wer schon immer wissen wollte, was eine traditionelle Chassidische Melodie mit einem raubeinigen Western gemeinsam hat – hören Sie einmal Track 8, die Khassidishe Nigun, und direkt danach Clint Eastwood von den Gorillaz ganz genau. Na? Sogar die Geierimitation stimmt, ein herrlicher Klamauk! Noch eins drauf setzen die Glezeles mit den Eigenkompositionen Rinderles wie etwa dem grandiosen Klarinettenhass: „Mir wird schnell übel von dem Ton, wenn ich ihn höre kotz’ ich schon, ich hätt’ so gern ein Saxophon“, heißt es da – wenn Georg Kreisler Reggae mit Speedpolka machen würde, ja, genau so würde das klingen! Seien wir froh, dass Achim Rinderle seine Klarinette noch nicht, wie angekündigt, in einen See geworfen hat, sondern damit hoffentlich noch ein zweites und drittes und … Glezele-Album aufnimmt!

Various Artists / Balkangrooves

Various Artists / Balkangrooves

Das hier würde so manch wohlmeinenden Musikethnologen vom Glauben abfallen lassen: Wo sind die Zigeunergeiger, die betörenden Balkan-Bläser, die süßlich-schwermütigen Melodien der Slawen, die zu erwarten er in vielen Jahren der Feldforschung gelernt hat? Oh, die sind schon noch da – allerdings überlagert von einer gehörigen Portion Disco Groove! Tanzbar waren die meisten Balkan-Nummern ja schon immer, mit ihrem halsbrecherischen Tempo und ihrem zumeist von einer waghalsigen Basstuba getriebenen Beat. Jetzt aber haben sich einige Produzenten und DJs auf Geheiß des sympathischen Labels Eastblok Music aufgemacht, den Balkan endgültig aus seiner Folklore-Ecke auf die Tanzflächen der westlichen Clubs zu zerren.

Herausgekommen ist dabei etwas, was man von der mittlerweile etablierten Balkan Beat-Welle so nicht kennt. Das fängt schon mit dem Opener Raise Up Your Hand an, einer beatgepimpten Dancehall-Nummer, bei der sich der Mazedonier Kiril mit dem Birminghamer Ex-Rockers Hi-Fi-Toaster Ras Tweed ein bisschen Jamaika ins Studio holt, während die legendäre Roma-Sängerin Esma Redzepova für einen Gastauftritt schon in den Startlöchern steht. Oder es werden einfach Files hin- und hergeschickt, wie zwischen dem Sanct Petersburger Dobranotch und dem Pariser DJ Click. Ab Track 6 wird es dann richtig interessant: Zajednica von Leni Kravac, dem Alter Ego des Slowenischen Drum&Bass- und R&B-Produzenten und Bassisten Jasarov, ist ein toller Song, Balkan Qoulou vom Marseiller Watcha Clan – laut Funkhaus Europa ein „verrückter Mestizo-Haufen“ – ein echtes Groove-Monster, stilecht orientalisiert mit allerlei nahöstlichen Arabesken. Oder Kebab Connection, eine lustige Nummer vom Wahl-Wiener Dunkelbunt, der als einer der Pioniere des „Electro-Swing“, sprich: des Fusionierens von südosteuropäischer Folklore, Klezmer und Swing mit elektronischer Musik gilt, sowie des Afro-Beat- und Reggae-Künstlers Cloud Tissa, die mich in ihrer Gesamtwirkung an das grandiose Duett Marry Me von Peter Fox und Miss Platnum erinnert. Der letzte Track, Rebetiko Song, wurde von Le Caravane Electro nur ganz behutsam elektronisiert und könnte so auch von einem Verve Unmixed/Remixed-Sampler stammen.

Balkangrooves

Szenetrennung und Genregrenzen jedenfalls wird man auf den Balkan Grooves vergeblich suchen. Einender Faktor ist die raue Energie und nicht zuletzt der anarchische Spaß, den die Musiker gehabt haben dürften und der hoffentlich auch die potenziellen Hörer trifft.

László Lajtha / Sämtliche Streichquartette (Vol. 3)

László Lajtha / Sämtliche Streichquartette (Vol. 3)

Seien Sie ehrlich: Woran denken Sie beim Stichwort Klassik aus Ungarn? Liszt? Bartók, Kodály? Oder, wenn Sie etwas für Neue Musik übrig haben beziehungsweise cineastisch veranlagt sind, denn schließlich kam seine Musik in Kubricks Odyssee im Weltraum zum Einsatz, Ligeti?

Sicherlich, das sind allesamt bedeutende Komponisten. Heute möchte ich Ihnen aber einen ans Herz legen, der aus politischen Gründen nicht jenen Bekanntheitsgrad erlangt hat, der ihm ob seiner Musik eigentlich zustehen sollte – ob seiner Opposition gegenüber den Kommunisten wurde er im eigenen Land nicht gespielt, und da ihm zudem noch der Pass entzogen wurde, konnte er sich auch im Ausland nicht für seine Werke einsetzen. Die Rede ist von László Lajtha. Der 1892 geborene Budapester war im Rahmen der Volksmusikforschung engster Mitarbeiter Bartóks und begann Anfang des 20. Jahrhunderts, alte ungarische Volksweisen zu sammeln, wobei er sich aber auf jene Regionen konzentrierte, die von Bartók und Kodály nicht erfasst wurden. Sein volkskundlerisches Interesse spiegelt sich auch in seinen Kompositionen wieder, die – trotz der damals modernen impressionistischen Harmonik und Instrumentierung französischer Provenienz – stets der Musik des ungarischen Volkes verhaftet bleiben.

László LajthaNeben der komischen Oper Le chapeau bleu, einem Violinkonzert und neun Sinfonien umfasst Lajthas Werk zehn Streichquartette. Hungaroton hat sich ihrer längst überfälligen Herausgabe angenommen, mittlerweile ist man bei Ausgabe drei angelangt, welche die Streichquartette No 6, 8 und 10 umfasst. Grandios eingespielt vom renommierten Auer String Quartet, das die am Studium seiner Vorbilder Debussy und Dukas geschulte Klangsensibilität Lajthas behutsam hervorzuheben weiß und dessen hingebungsvolle Interpretation als authentisch gilt, schweben die Streichquartette in einer schwerelosen, gleichsam immateriellen Klangsprache im Raum, in dem wie von fern dunkel das geheimnisvolle Asien, Urmutter der ungarischen Volksmelodien, anklingt.

Nahezu greifbar ist dieser Nachhall einer längst vergangenen Zeit auf dem zehnten und letzten Streichquartett, das den Titel Transsilvanische Suite trägt und sich von einer zart züngelnden Bratschenmelodie in einen furiosen, volkstümlichen Schlusstanz steigert, dabei aber nie verliert. Technisch auf dem damals neuesten Stand, wollte Lajtha den modernen Quartettstil, was Klangfarben und Zusammenspiel betraf, demonstrieren. Schließlich war er, der am Budapester Konservatorium dreißig Jahre lang Kammermusik unterrichtete, mit allen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten des zeitgenössischen Quartettspiels bestens vertraut. Vor der selbstverständlich vorausgesetzten Technik aber steht bei dem Ungarn stets die Empfindung, die jede noch so ausgefeilte kompositorische Raffinesse zu mehr als einem bloßen virtuosen Renommierstück werden lässt. „Zärtlich, mit viel Feingefühl“ – diese Spielanweisung gilt nicht nur für das Capriccio aus dem Streichquartett No 8, sondern könnte gleichsam als Überschrift für László Lajthas gesamtes Quartettschaffen dienen.

C½ur de Pirate / C½ur de Pirate

C½ur de Pirate / C½ur de Pirate

Ich kann mir nicht helfen, bei dem Namen „C½ur de Pirate“ muss ich erst mal an Johnny Depp denken und nicht an eine zarte Französin. Obwohl, ist der nicht mit einer zarten Französin …? Wie dem auch sei, die Dame mit dem Herzen eines Piraten, um die es hier geht, und die in den letzten zwei Jahren vom Félix über den Juno-Award bis zum „französischen Grammy“ Victoire de la musique für das beste Stück des Jahres alles an Preisen einkassiert hat, was in der Chanson-Szene Frankreichs Rang und Namen hat, kommt ursprünglich aus dem frankophonen Teil Kanadas.

C½ur de Pirate

Achtzehnjährig komponierte sie ihren Hit Comme des enfants, stellte ihn auf Myspace ein – und der Rest ist Geschichte, wie man so schön sagt. Nun endlich präsentiert die heute 20-jährige Sängerin und Pianistin, die mit bürgerlichem Namen Béatrice Martin heißt, ihr Debütalbum auch in Deutschland und Österreich. Und das wurde auch Zeit, denn die Platte versprüht einen ganz zauberhaften, unschuldigen Charme, viel akustisches Kindchenschema ist dabei, ein bisschen wie Lena-trifft-auf-Knut-den-Eisbär. Oder: Wieder ein Storytelling Pianoplaying Fräulein, eine Soap&Skin ohne deren offensichtliche Abgründe, sondern vielmehr mit scheuer Die fabelhafte Welt der Amélie-Anmut.

C½ur de Pirate macht bezaubernd naive Songs, lassen Sie mich noch einen weiteren Vergleich wagen: Emilias Big Big World gepaart mit Yael Naims New Soul, und das alles im koketten Lolita-Akzent von Vanessa Paradis. Ein großes Staunen über die Welt, in die man gerade erst so neu hineingeboren wurde, das macht den Reiz der Klavier- beziehungsweise E-Piano-begleiteten Stücke aus. Nur selten wurden ein paar Arrangements, ein Chor oder einige wenige Streicher hinzugefügt – eigentlich sind die Stücke auf dem Album so geblieben, wie C½ur de Pirate sie spontan erdacht hat. Im Prinzip ist dieses Album nichts anderes als ein Lobgesang an und über das Jungsein, entwaffnende Direktheit und endlose Unbeschwertheit. Das steckt zwangsläufig an.

C½ur de Pirate

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Plattenkritik: Bahama Soul Club | Bajka | Edgar Knecht | Triosence | A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | Cœur de Pirate

  1. 2 Bahama Soul Club / Bossa Nova Just Smells Funky
  2. 3 Bajka / Escape From Wonderland
  3. 4 Edgar Knecht / Good Morning Lilofee
  4. 5 Triosence feat. Sara Gazarek / Where Time Stands Still
  5. 6 CD-Besprechung: A Glezele Vayn | Balkangrooves | László Lajtha | Cœur de Pirate - fairaudio

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