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b-ebene | Motown Around The World | Lyambiko

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Juli 2010 / Victoriah Szirmai

Passend zum lang ersehnten Sommerbeginn präsentieren Christian Bader und Boris Pillmann ihr Bossa Nova-lastiges Debütalbum Rückwärts Weltrekord, mit dem sie als Duo b-ebene in „die andere Ebene“ der brasilianischen Mixtur aus Samba und Cool Jazz aus den Fünfzigerjahren vordringen wollen.

b-ebene / Rückwärts Weltrekord

b-ebene / Rückwärts Weltrekord

Das wäre an sich nicht besonders spektakulär, im Gegenteil, erlebte der Bossa, elektronisch versetzt, doch seit Mitte der 1990er-Jahre, besonders aber in den ersten fünf Jahren des neuen Jahrtausends, unter dem Etikett „Brazilectro (s)ein unvermutetes Revival“, dessen Blütezeit – ach, was heißt hier Blüte! auch die Degeneration des elektronischen Bossa ist eigentlich schon gelaufen – aber auch schon längst wieder überschritten ist. Elektronischer Bossa klingt heute wie die Partymusik von gestern. Fast schon rührend. Niemand, der bei Trost ist und unbedingt „hip“ sein will, würde seine Breakbeats & Co. heute noch mit Bossa Nova-Anklängen anreichern. Electro-Bossa-Alben haben heute Café-del-Mar-Status, heißt: Sie sind vom erlesenen Geheimtipp, mit dem man seinen ausgesuchten Geschmack sowie seine Zugehörigkeit zu exklusiven Avantgarde-Zirkeln beweisen konnte, zur Massenware verkommen. Den sprichwörtlichen Hund kann man damit jedenfalls nicht mehr hinter dem Ofen hervorlocken.

Warum also findet Rückwärts Weltrekord, im Folgenden: die Platte mit dem Mafia-Cover (man beachte den „Instrumentenkoffer“!), dennoch Eingang – und zwar: lobenden, das sei hier schon mal verraten – in meine aktuelle Kolumne? Was ist an diesem kleinen, nur aus Gitarre, Gesang und einer Handvoll Electrobeats bestehenden 12-Track-Album so bemerkenswert, dass letztendlich mal wieder der Bossa Nova Schuld sein wird, wenn der Abwasch stehen bleibt, Kind und Mann vergeblich aufs Abendbrot warten und der Hund ebenso umsonst auf den Gassigang, weil Mama/Freundin/Frauchen stattdessen zugestöpselt mit Kopfhörern auf dem Balkon sitzt und träumend in die Ferne sinniert, die Lippen von einem Lächeln umspielt ob dessen, was ihr die „Boys von Ipanema“ da zuraunen?

b-ebene

Nun, zum einen hat neuerer Bossa aus deutschen Landen immer noch Seltenheitswert – noch dazu, wenn er konsequent auf muttersprachliche Texte setzt. Ähnlich wie beim jüngst besprochenen Album Gadje vom Absinto Orkestra bilden deutscher Text und „exotische“ Musik auch bei b-ebene keinen Kontrast, sondern ein Zusammenspiel zum gegenseitigen Vorteil – um das zu erreichen, muss man schon ein ziemlich guter Texter sein! Hans Bender von Absinto ist so einer, und Boris Pillmann von b-ebene steht ihm da in nichts nach. Auch auf Rückwärts Weltrekord ist es gelungen, Sujet und Idiom ursprünglich nicht-endemischer Musiktraditionen ins Heimische zu transponieren. Dabei gibt die Liebe in all ihren Spielarten nicht das einzige Thema vor, erzählt Pillmann: „Ich singe von schönen Brüsten genauso wie von leeren Gläsern.“

b-ebeneBereits der Opener Rüber zu Dir lässt den sprachgewandten, -gewaltigen und nicht zuletzt -gewitzten Texter erahnen, bei dem die Sonne schon mal Bindfäden scheint; und auch Christian Bader stellt sich schon hier als ziemlich guter Gitarrist vor. Einzig die weiblichen Backup-Vocals halte ich bei diesem Track für absolut unnötig. Sind die ersten drei Tracks von Rückwärts Weltrekord noch klassische (Pop-?)Nummern, elektroschnasselt sich Ulla ist weg dezent ins Hörorgan, und zwar derart zurückgenommen, dass es wenig mit dem eingangs für tot erklärten E-Bossa zu tun hat. Außerdem ist da noch die sinnliche Stimme Pillmanns, die sich, weich und rau zugleich, einem Social Media User zufolge „so richtig ins Ohr schlabbert“, sodass sich der weibliche Hörer unwillkürlich fragt, ob er eigentlich eine Freundin hat …

Boris Pillmann gehört zu jenen Sängern, die ich als „HipHop-Sänger“ bezeichnen möchte. Naturbegünstigt mit einer Frauenherzen dahinschmelzen lassenden Stimme und einem unerhörten Groove. Mal eine kleine Definition: Auch Maximilian Herre von Freundeskreis und Peter Fox von Seeed sind HipHop-Sänger, denn sie können singen und, wenn nötig, rappen – im Gegensatz zu Rappern, die zumeist nicht singen können.

b-ebeneLustig in jeder Hinsicht ist der rhythmisch stramme Salon-Tango Noch eine. Hier werden die Paradigmen des Genres derart überspitzt, dass es schon fast einer Groteske gleichkommt. Kongenial der Text, der mit wirklich allen Tango-Klischees zu spielen weiß. Song Nummer 8 dagegen, Kaputt, dürfte alle Aficionados des Buena Vista Social Clubs entzücken. Großartig die Bläser auf Spazieren gehen. Entzückend romantisch Kannst du mich mal. Ein weiteres tolles Lied ist Gefällt dir das mit seinem Nicht-Gesang. Leider gibt es auch hier wieder eine völlig überflüssige weibliche Background-Stimme, die – fortan „das Stimmchen“ genannt – dem Stück die Atmosphäre nimmt und es allzu sehr in die Nähe radio- bzw. straßencafétaugliche Formate bringt. Die Duettstruktur erinnert zwar an den 1999-er Hit Mit Dir, wo sich Max Herre und Joy Denalane umtänzeln, nur dass – während sich b-ebene-Sänger Boris Pillmann hinter der ebenso markanten wie frauenschwächenden Stimme des Freundeskreis-Frontmanns nicht zu verstecken braucht – das Stimmchen keine Joy Denelane ist.

Ich kann mir allerdings gut vorstellen, dass das gemeine Publikum gerade die Songs mit Stimmchen mögen wird. Perlen vor die Säue! Diese schöne Platte soll, trotz aller Bossa-Leichtigkeit, nicht irgendwo im Hintergrund von Fußgängerzonenklamottenlädenumkleidekabinen laufen; sie soll zu Hause ganz deutlich angehört und angemessen gewertschätzt werden, und das immer wieder!

Rückwärts Weltrekord ist ein Album, das meine Erwartungen bei weitem übertroffen hat und das ich jedem, der sich nach ein bisschen Sommer in der Stadt sehnt, sehr ans Herz legen möchte. Und all denen, die dem Ausgang der Fußball-WM 2010 entgegenfiebern, sei zugerufen: Rückwärts Weltmeister! Und weshalb auch nicht? Den Grand Prix haben wir schließlich auch gewonnen …

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