Demnächst im Test:

Billboard
Phonosophie - Handy

Nikka Costa | Moon Harbour Vol. 3 | Kitty Hoff

Inhaltsverzeichnis

  1. 1 Nikka Costa | Moon Harbour Vol. 3 | Kitty Hoff

Juli 2009 / Victoriah Szirmai

Auf ganz ungewöhnliche, mich selbst überraschende, weil nicht gerade Inbegriff von professionell-distanzierter Art und Weise, lässt mich Leonard Cohen nicht los. Live in London läuft nun schon seit Wochen ununterbrochen auf meinem Rechner, nimmt mich gänzlich gefangen und hält mich davon ab, etwas anderes zu hören oder gar zu rezensieren – wobei ich es ohnehin nie wagen würde, dieses Album zu besprechen.

Nur soviel: Es gehört zum Schönsten – und Schönheit verstehe ich hier in einer ursprünglichen, ja: puren Wortbedeutung, bin ich doch der Meinung, dass es einerseits eine dem Zeitgeist unterworfene, äußerliche, ich möchte sie nennen: eine Germany’s-Next-Top-Model-Schönheit gibt, der eine immergültige, gewissermaßen ewige Schönheit gegenüber steht –, was ich seit Langem gehört habe. Nein, es ist sogar das Schönste, was ich seit langem gehört habe. Wenn dieser, wie man sich mittels der entsprechenden DVD überzeugen kann, immer noch hocherotische alte Mann Titel wie Dance Me To The End Of Love, Everybody Knows oder The Gypsy’s Wife rauchig in sein Mikrofon raunt, kann man sich der bezwingenden, fast erdrückenden Präsenz dieser mit den Jahren nachgedunkelten, hauchig-krächzenden Stimme – noch verstärkt durch den reduzierten Sirenensang der Webb Sisters und Sharon Robinsons – nicht entziehen. Hier endlich stimmt jedes Detail und es scheint, als sei den Cohen-Klassikern nunmehr genau jene Performance zuteil geworden, die sie schon immer verdient haben.

Ich bin mir sicher, dass meine musikbegeisterten Leser verstehen werden, weshalb ich erst einmal eine ganze Weile benötigt habe, um Hirn und Herz, Hand und Ohr, kurz: Denk- und Schreibapparat, wieder freizukriegen und nicht alles, was ich höre, an Live in London zu messen. Dies erklärt auch den unüblich langen Abstand zwischen dieser und der letzten Kolumne. Gut, es gibt noch einen weiteren Grund, doch ist dieser nicht ganz so schwärmerischer Natur, sondern eher der schriftstellerische Super-GAU: Ich habe das Speichermedium mit dem fertigen, aber nirgendwo sonst geback-up-ten Manuskript einen Tag vor dem üblichen Abgabetermin verloren … Und jetzt bitte keine Kommentare à la „Wenn ich ein Stück Papier verbrenne, kann ich die Asche auch nicht wieder in Papier zurückverwandeln. Was weg ist, ist weg – da hilft nur, nächstes Mal vorher eine Kopie zu machen“ – die habe ich mir schon von der Technik-Hotline eingehandelt und hinterher ist man sowieso immer schlauer. Übrigens: Falls der Finder meines USB-Sticks dies hier liest, ich freue mich immer noch über eine Rücksendung!

Nikka Costa / Pebble to a Pearl

Nikka Costa / Pebble to a Pearl

Wie dem auch sei, um also die verlorenen Rezensionen noch einmal zu schreiben, war ein Extra-Energieschub notwendig – und da kam mir die erste der zu besprechenden CDs genau recht, denn wenn es um pure Energie geht, ist eine ungeschlagen: Ms Domenica „Nikka“ Costa, die sich schon lange, bevor Legionen weißer Funk-Soulsängerinnen wie Joss Stone, Amy Winehouse oder Duffy unsere aktuellen Charts und Hörgewohnheiten Nikka Costaeroberten, einen festen Platz in den Herzen der Old-School Funk-Fans ersungen hat. Geboren 1972 als Tochter des 1983 verstorbenen Gitarristen, Arrangeurs und Musikproduzenten Don Costa, veröffentlichte Nikka schon im zarten Alter von 10 Jahren ihre erste Single, das von ihrem Vater produzierte Duett To Love a Child mit ihrem Patenonkel Frank Sinatra. Kein Wunder, dass sie zunächst und dann noch lange Zeit nur als „Tochter von“ gehandelt wurde, bis sie sich 2001 mit dem Album Everybody Got Their Something (und hier vor allen der Wahnsinns-Single Like A Feather) nicht nur musikalisch emanzipierte, sondern auch zeigte, dass der süße kleine Everybody’s Darling zu einer selbstbewussten, sinnlichen Frau herangereift war. Diesen Weg setzte die Musikerin mit Cantneverdidnothing (2005) konsequent fort, sodass der Name Nikka Costa mithin zum Synonym für eine explosive Mischung aus trockenem Funk, stimmgewaltigem Soul und sexy Rock wurde. Auch das neue Album Pebble to a Pearl, im Herbst 2008 bereits in anderer Version und mit anderem Cover veröffentlicht, schlägt dieselbe Richtung ein. Wo „Nikka Costa“ draufsteht, ist auch „Nikka Costa“ drin – und das ist auch gut so!

Nikka Costa

So beginnt auch diese Scheibe im Retro-Motown-Sound, ist dabei aber viel funkiger, groviger, eckiger, ja: dreckiger als die Vorgänger geworden. Vielleicht auch als Reminiszenz an die neue Plattenfirma Stax, kam das legendäre Soullabel doch nie weichgespült daher, sondern mit Acts wie Isaac Hayes, Otis Redding oder den Staple Singers immer etwas kantiger, kratziger und rauer als der kommerziellere Konkurrent aus Detroit. Denn obgleich Nikka das Album eigentlich im Alleingang veröffentlichen wollte, bekam Stax Wind davon und schickte ihr seine Leute vorbei, die derart begeistert davon waren, dass sie es unbedingt einkaufen wollten. Dass sie ihr absolute künstlerische Freiheit garantierten und nichts an den bereits fertigem Material zu ändern gedachten, machte dann auch für die Musikerin den Deal perfekt. Man könnte sagen: Hier haben sich zwei gesucht und gefunden. In jedem Falle aber hat Nikka Costa ihren Einstand bei Stax bravourös gemeistert, und alle Möchtegern-Retro-Sängerinnen wie Gabriella Climi oder Stefanie Heinzmann können dann gleich mal wieder schön mit ihren Puppen spielen gehen – hier kommt eine volle Ladung Power, Weiblichkeit und Sexyness, die nicht fürs Kinderzimmer gemacht ist. Man nehme beispielsweise Love to Love You Less, den persönlichen Lieblingssong Nikka Costas: „Wenn man nicht auf den Text achtet, könnte man leicht glauben, dass es sich um eine sentimentale Liebesballade handelt. Dabei ist es ein wirklich freches Lied mit Hintergedanken, es geht darum, mit diesem nutzlosen Kerl zusammenzubleiben, nur weil er so gut im Bett ist …“

Nikka Costa

Und jenseits der Balladen, die an die guten alten Tage des Souls gemahnen, macht allein die Musik klar, dass wir uns hier nicht im Kindergarten befinden. Pebble to a Pearl ist purer, prachtvoller Funk. Und obgleich sie diese Art von Musik schon gemacht hat, als noch kein Mensch weiße Funk-Soul-Sängerinnen hören wollte, stört es sie keinesfalls, zur Wegbereiterin der erwähnten, heute sehr erfolgreichen Stars (im Hochsommer werden wir sogar einem männlichen weißen Funk-Soul-Sänger, gewissermaßen Mister Amy Winehouse, verfallen – aber davon mehr in meiner zweiten Juli-Kolumne) geworden zu sein. Im Gegenteil: „Ich glaube, das Publikum und die Radiostationen haben jetzt aufgeholt, sie sind viel offener für diese Art von Musik, die ich schon seit Jahren mache. Als ich in den frühen 2000ern anfing, Funk-Soul-Platten aufzunehmen, sagte man mir noch, dass sich das keiner anhören wird. Jetzt aber ist der Beweis da, dass die Leute es mögen!“

Nikka Costa

Wenn es stimmt, dass der Mensch liest, um seine bereits vorgefasste Meinung bestätigt zu finden, um zu erfahren, dass er nicht der einzige ist, der auf eine bestimmte Art und Weise denkt und fühlt, dann verhält es sich mit dem Musikhören ganz ähnlich: Lieblingskünstler, Lieblingssongs sind immer diejenigen, die jene Erfahrungen besingen, welche den eigenen (aktuellen) gleichen. Gewissermaßen leihen uns die Künstler ihre Stimme, und das Lied, welches unserem momentanen Lebensgefühl entspricht, wird zu unserer ganz persönlichen Hymne auf Zeit. Bei mir hat Can’t Please Eveybody aus Pebble to a Pearl gute Chancen darauf.

Billboard
BTB - Röhren & Elektronikbauteile

Plattenkritik: Nikka Costa | Moon Harbour Vol. 3 | Kitty Hoff

  1. 1 Nikka Costa | Moon Harbour Vol. 3 | Kitty Hoff